Wissenschaftliche Datenarchive:
Entwicklung und Perspektiven

ZENTRALARCHIV

Das ä lteste Umfragenarchiv befindet sich in den Vereinigten Staaten: das1957 gegrü ndete Roper Center. Dieses Archiv verdankt seine Existenz der umfangreichen Datensammlung von Burns ROPER. Ein vergleichbarer Datenreichtum stand dem Zentralarchiv 1960 nicht zur Verfü gung. Es war daher nicht der Wunsch, vorhandenes Material zu konservieren, der Erwin K. SCHEUCH und Gü nter SCHMÖ LDERS in dieser Zeit dazu veranlaß t hat, das erste Archiv fü r Umfragedaten in Europa zu grü nden. Im Mittelpunkt ihrer Ü berlegungen stand vielmehr das Argument der hohen Forschungskosten sowie das des unausgeschö pften Analysepotentials der mit groß em Aufwand erhobenen Daten (z. B. fü r Trend-Untersuchungen).

Empirische Untersuchungen sind sehr zeitaufwendig und kostenintensiv. Von der Planung ü ber die Durchfü hrung einer Erhebung bis hin zur Aufbereitung der Daten vergehen Monate. Groß e Projekte nehmen oft mehrere Jahre in Anspruch. Fü r eine Reprä sentativerhebung durchschnittlichen Umfangs werden zwischen 250.000 DM und 500.000 DM veranschlagt. Das Informationspotential des Datenmaterials kann von den Primä rforschern schon aus Zeitgrü nden nur unvollstä ndig ausgeschö pft werden . Die Auswertung konzentriert sich i.d.R. auf die aktuelle Problemstellung. Verä nderte Forschungsperspektiven, Fortschritte in der Theoriebildung und bei den Datenanalyseverfahren erö ffnen aber zahlreiche Mö glichkeiten, das vorhandene empirische Material fü r weitere Arbeiten zu nutzen und neue Erkenntnisse zu gewinnen . Die Aufbereitung, Aufbewahrung und Dokumentation des Datenmaterials in einer Form, die weitere Analysen erlaubt, kann vom Primä rforscher i.d.R. nicht geleistet werden. Hier bietet das Zentralarchiv seine Dienstleistungen an: Die Beschaffung, Aufbereitung und Bereitstellung von Datensä tzen aus der Sozialforschung ermö glicht selbst fortgeschritteneren Studenten empirisches Arbeiten mit hochwertigem Material auf reprä sentativer Basis.

Von Anbeginn an verstand sich das Zentralarchiv nicht als bloß e Sammelstä tte fü r Daten, in der man sich wie in einem groß en Dokumentenarchiv bedienen konnte. Frü hzeitig wurde der Entwicklung von computergestutzten Suchsystemen zur Erschließ ung des Datenbestandes (Retrieval-Systeme) groß e Bedeutung beigemessen. Hohen Stellenwert besitzt auch die datenbezogene Aus- und Weiterbildung. Die Nutzung des Computers als "Werkzeug" der Sozialforschung konnte dadurch wesentlich vorangetrieben werden.

Inzwischen sind auch in weiteren Lä ndern sozialwissenschaftliche Datenarchive entstanden. Durch die Kooperation der nationalen Archive verbessern sich die Bedingungen fü r international vergleichende Analysen. Als zunehmend wichtiger wird die Konstruktion von Zeitreihen erkannt, mit denen gesellschaftliche Wandlungsprozesse verfolgt werden kö nnen. Ohne Datenarchive wä re dies nicht mö glich, denn ein bloß es Zurü ckgehen auf frü here Berichte uber Auswertungen reicht i.d.R. nicht aus; vielmehr muß der Originaldatensatz unter heutigen Fragestellungen neu ausgewertet werden.

Sowohl die international vergleichende Forschung als auch das Erstellen von Zeitreihen sind Aufgaben, die vom Zentralarchiv gegenwä rtig verstä rkt angegangen werden. Des weiteren wird ein Ergebnisdienst aufgebaut, der auch fü r Publizistik, Politik und Wirtschaft angemessen dokumentierte Befunde aktueller Erhebungen vertreibt. Zu den wichtigsten Zukunftsaufgaben gehö rt die kontinuierliche Weiterentwicklung von Suchsystemen zur raschen Erschließ ung der im Zentralarchiv und anderen Archiven vorhandenen Materialien.